NORDLICHT
Bericht aus Norwegen
Alle fragen mich: Warum willst du nach Norwegen?
Im Winter! Ausgerechnet mit dem Motorrad!
„Die Antwort liegt in der dreifachen Natur des Menschen. Eine Triebfeder ist Geltungssucht und Wettstreit, denn es liegt in der Natur des Menschen, Orte aufzusuchen, an denen er große Gefahren bestehen und zu Ruhm gelangen kann. Ein zweites Motiv ist die Neugier, denn es liegt ebenfalls in der Natur des Menschen, dass er Dinge, von denen er gehört hat, sehen und kennenlernen und erfahren möchte, ob die Erzählungen den Tatsachen entsprechen oder nicht. Drittens treibt ihn das Gewinnstreben, denn Menschen suchen Reichtum, auch wenn die Gefahren groß sind“.
Zitat aus dem norwegischen Konungskugga(Königsspiegel) aus dem 13. Jahrhundert, der unbekannte Autor nach den Gründen für Auslandsreisen von Händlern gefragt.
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Der Motorradreisende, der in unseren Breiten die gängigen Motorrad-Wintertreffen öfter besucht hat, große wie kleine, wird eine gewisse Sättigung verspüren, immer die gleiche Location, immer die gleiche Anfahrt, immer die gleichen Leute, kaum Schnee.
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Savallenralley, Kristallralley sind Wintertreffen im fernen Norwegen, kaum einer war schon dort, doch immer wieder kursieren verlockende Geschichten von irren Mengen Schnee, tiefen Temperaturen und Schneefahrbahnen ohne Ende bei der Anfahrt.
Und bevor ich nun alt und unbeweglich werde, schaffe ich mir heuer zehn Tage Urlaub und beschließe zur Kristallralley zu fahren, finde auch gleich einige Mitstreiter, die mit Begeisterung dabei sind - je näher der Termin zur Abreise rückt, desto kleiner wird jedoch der Kreis der Norwegenfahrer und schließlich bleibe ich allein über. Der Vorteil: Ein größtmögliches Maß an Flexibilität, lediglich auf die Eigenheiten meiner Winterdnepr muß Rücksicht genommen werden.
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Nie habe ich mich intensiver vorbereitet als auf diese Reise
In der eigenen Bibliothek finden sich Merian-Reiseführer für Norwegen, Schweden und Finnland, die mangels Brauchbarkeit sofort dem Altpapier zugeführt werden. Ein Schiffsreiseführer aus 1926 findet sich, ein „Prachtband“ über den Norwegenfeldzug im zweiten Weltkrieg - schier unglaubliche Nazipropaganda in Text und Bild. Die Time-Life Bücher über die Entdeckungsfahrten auf See und Eroberungen der Wikinger sind da schon viel interessanter, ich lerne kennen Erik den Roten, Harald Schönhaar, Olaf Haraldsson, in den Sagas aus dem 13. Jahrhundert, niedergeschrieben von Snorri Sturluson, einem Isländer. Fachliteratur über Walfang, U-Boote, Lachszucht, besonders inspirierend auf meine Reise wirken die Arktisreisen der Norweger Fridtjof Nansen und natürlich Roald Amundsens Entdeckungsfahrten der Nordwestpassage und der tragische Wettlauf mit dem Engländer Scott um die Entdeckung des Südpols wird gleich in verschiedenen Fassungen wieder gelesen.
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Alles extrem sinnvolle Literatur zur Planung einer Motorradreise nach Skandinavien und so schenkt mir meine Tochter zu Weihnachten einen Velbinger-Reiseführer für Norwegen (Verlag Martin Velbinger ISBN:3-88316-021-0), dem dann zu entnehmen ist, daß der Winter in Norwegen nicht die beste Reisezeit ist. Darum ändere ich das Ziel der Reise von Kristallralley in Südnorwegen auf Hammerfest, der nördlichsten Stadt, der Welt.
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Ich werde oft gefragt: Warum überhaupt im Winter Motorradfahren? Da sei es ja viel zu kalt!
Meine Gegenfrage lautet immer: Warum aber Skifahren? Da sei es genauso zu kalt.
Nein: Es gibt kein unpassendes Wetter - nur unpassende Kleidung
Und so pilgere ich zum Grötzmeier, demFachgeschäft für Motorradbekleidung in unseren Breiten. Dort gibt es Transtex Unterwäsche und Socken von RACER, das ist unverzichtbare Basis für jeden Wintereinsatz, egal ob Motorradfahren, Skifahren oder Eisstockschießen, die sympathischen Leute von RACER erzeugen Top Handschuhe, Nierengurte, Halskrausen, ich wähle als Handschuhe das Modell „Runner“ und ich kann gleich vorweg sagen, diese Handschuhe haben oft bewirkt, daß ich vergessen habe die Heizgriffe einzuschalten, Obermaterial aus Goretex, das Innenmaterial greift sich angenehm an, kalte Finger hatte ich nie.
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Hose und Jacke aus Goretex: Und zwar Dainese: Nicht nur weil es den besten Schnitt hat und mir ein sonniges italienisches Gefühl verleihen soll im hohen Norden, es wird sich auf der Reise herausstellen, dass die Wahl hundertprozentig die Richtige war, das Gewand ist absolut wasser- und winddicht, mir war auch bei minus 20 Grad am Dovrefjell nicht kalt.
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Ein heikles Thema, der Helm: Ich vertraue auf den Evolution von Lazer: Vakuum zwischen dem doppelten Visier soll ein Beschlagen des Visiers verhindern. Verhindert es auch ein Vereisen?
Meine bewährten Winter-Motorradstiefel, Filzstiefel aus Sibirien, werden außen neu mit einer Schicht Alufolie umgeben, in einen Plastiksack und zusätzlich in Überschuhe aus Neopren gesteckt. Ich fühle mich optimal gerüstet, was die Kleidung angeht.
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Mein Winter-Motorrad Dnepr MT16 (mit Beiwagenantrieb) hat dagegen Schwachstellen, ist es ja bloß eine sogenannte „Inlandsdnepr“, also qualitiatv kein Highlight. Wurde seit 1997 von mir ausschließlich im Winter bewegt, durch Salzfraß und mangels Pflege in erbärmlichen optischen Zustand, werden die Mängel zum Stilmittel erhoben und präsentiert sich das Motorrad nun als echtes Dirtbike.
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Der Motor ist ein Congenia-Versuchsmotor, ein Prototyp unserer Ausführung mit externen Ölfilter/Ölkühler und ca. 2.000 km im Einsatz in einer Solo-Dnepr und 8.000 Kilometer in meiner Winterdnepr. Gute Leistung, läuft aber sehr laut (original Lager) und hoher Ölverbrauch (original Kolbenringe – Inlandsqualität)
Das Motorrad ist versehen mit Heizgriffen, dem häßlichsten aber besten Windschild. Knieschutzbleche, der externe Ölfilter ist ummantelt mit Dämmmaterial für Rohre vom Installateur, weil ansonsten das Öl im Filter und den Leitungen gefriert (so geschehen beim Elefantentreffen).
Für die Norwegenreise wird noch folgendes adaptiert
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Motoröl von Castrol 0W20
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Die original Bereifung wird mit Spikes versehen, auch das Reserverad
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Am Windschild wird ein Thermometer montiert
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Den Tank habe ich mit einer Schaumstoffdämmmatte bekleidet, weil dieser Teil Kälte ausströmt, den Popscherlwärmer aus Fell hat mir Silvia, eine erfahrene Wiener Dnepr-Sozia übermittelt. Vielen Dank noch einmal.
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Es darf eine Lichtmaschine 300 Watt von Ural sein und die neueste elektronische Zündanlage von Ural und eine 16 Ah Batterie wartungsfrei, wie wir sie in die E-Starter Urals einbauen.
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Das Dirtbike wird verunziert mit einem Scheinwerfer in Chrom mit H4-Einsatz.
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Ein 10L-Reservebenzinkanister wird am Beiwagen montiert.
In den Beiwagen wandern: Fünf Zündkerzen, drei Kerzenstecker, eine Ersatz-Lichtmaschine, die originale Unterbrecherzündung mit Zündspule, zwei Stück Gaszug, ein Kupplungszug, ein Bremszug vorne, zirka zwei Kilo Schrauben, Muttern, Scheiben und so Zeugs unsortiert, eine Kiste mit Werkzeug inklusive Hammer, Wagenheber, fünf Liter Motoröl, Trichter, Spanngurten verschiedener Länge und Ausführung, Abschleppseil, Bleizusatz fürs Benzin.
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Dann noch alles an Bekleidung in doppelter Ausführung, auch die Goretex doppelt, die Stiefel, Handschuhe, für alles muß ein Ersatz vorhanden sein also auch eine zweite Unterhose, an Verpflegung soll es sein ein paar Dosen Redbull, zwei Flachmann (Grappa und Kirsch), Mannerwafferl, einige Packerlsuppen, der Beiwagen hat nun ausreichend Gewicht.
Gerne nimmt man Erfahrungen anderer an, die schon mit dem Motorrad in Norwegen waren wie zum Beispiel: Fahre nicht durch ganz Deutschland mit dem Motorrad, denn da bist du fertig, bevor du in Norwegen ankommst.
Ich erspare mir und meiner Winterdnepr den Masochismus 1000 Kilometer deutscher Autobahn, der Autoreisezug von München nach Hamburg ist jedoch sensationell teuer, da bemühe ich lieber alte Kontakte aus meiner Zeit als Fernfahrer zu Studienzeiten und siehe da, es finden sich jede Menge Frächter die nach Skandinavien fahren und die Dnepr und mich preisgünstig nach Norden bringen könnten.
So passiert es daß Fred, Linzer Frächter alter Skandinavienschule, am 30. Jänner um 03.00 Uhr früh mit seinem vierfünfziger Scania in Linz abfährt, Ladung ist 20 Tonnen Hundefutter, 400 Kilo Dnepr Motorrad und 75 Kilo Dnepr Fahrer. Zwölf Stunden und 1.000 Kilometer später sind wir schon auf der Fähre M/S Skane von Rostock nach Trelleborg (www.scandlines.se). Die Fähre schluckt ganze Güterzüge, die vier MAN B&W Dieselaggregate leisten insgesamt so viel wie 1.234 Dnepr Motore. Anderntags um 12.00 Uhr mittags in Brumunddai, zirka 50 Kilometer südlich Lillehammer löscht Fred seine Ladung, also auch die Dnepr und mich. Fred ist unruhig, er fragt mich das letzte Mal, ob ich nicht doch wieder mit ihm zurückfahren wollte, ich vernehme echte Besorgnis meines Truckers, Fred lädt mich noch zum Mittagessen ein, und entläßt mich endlich, nicht ohne noch einige unbedingt nützliche Verhaltenstipps im Falle einer Elchkollision gelehrt zu haben.
Gut verpackt im LKW mit Hundefutter .
Ich aber bin endlich on the road, warm verpackt, voller Tatendrang. Bald nach Lillehammer wird es endlich Schneefahrbahn geben und schon erwartet mich auch die erste Sonderprüfung:
Links unten liegt verträumt ein Stausee, fein zugefroren, schneebedeckt. Eine netter Fahrparcour ist von Schnee geräumt, die Kurven haben außen Anlieger aus Schnee. Fahren doch tatsächlich ganz normale PKW am Parcour, beschleunigen, driften, wandeln in der Bahn, fürchterliches Kribbeln überkommt mich, wie ein Magnet zieht mich das an, die Fahrbahn dort unten glänzt spiegelglatt, wunderschön, mein Gott, nicht hinsehen – ich kann doch nicht schon nach 50 Kilometer meine Dnepr prügeln, ist ja doch auch gar nicht würdig sich mit Allradaudis zu messen, wie kleine Kinder fahren sie da unten im Kreis, und beinhart fahr ich am Geschehen vorbei, ich schließe mit meiner Dnepr eine wirklich faire Vereinbarung, die da lautet, ich behandle die Dnepr anständig, fahre nie schneller als 70 Km/h, dafür verspricht mir die Dnepr 4.000 Kilometer pannenfreie Ausdauer.
Schon in Ringebu wird mir die E6, die Hauptstraße, zu langweilig, und ich erlaube mir einen kurzen Abstecher hinauf aufs Fjell Richtung Folldal, schließlich habe ich ja Urlaub und wollen wir die vor uns liegenden 2.000 Kilometer nach Hammerfest geruhsam angehen. Längst ist es dunkel als ich wieder auf die E6 zurückkehre und es wird spürbar kälter, auf einer Tankstelle beschließe ich bei einer Tasse Tee noch heute Abend über Dovre Fjell, Pass von 1026 Meter Höhe, bis zumindest Oppdal, einem Schiort zu fahren. Voller Elan nehme ich den kommenden Pass in Angriff, wohl zu viel Elan, denn schon die Tankstellenausfahrt endet für mich im Straßengraben, ich kann es nicht fassen, dass einem so extrem erfahrenen und besonnenen Beiwagenfahrer wie ich einer bin, so ein blödes Missgeschick passieren kann, und so gebe ich nicht auf, sondern gib kräftig Gas und werke und kämpfe im Graben so lange weiter bis die Fuhre bis Höhe Tank endgültig im Schnee steckt, das Beiwagenrad krallt sich gerade noch auf der Straße fest. Zwanzig Meter weiter ein Haus, ein Auto davor, dem Auto entsteigen eine junge Frau und ein junger Mann, beide grinsen seltsam und der Junge meint bloß „shit happens“. Ich grinse halt auch dazu, krame unter neugieriger Anteilnahme der beiden aus dem Beiwagen triumphierend das Abschleppseil und noch während ich überlege, wie ich wohl auf Englisch mein aus-dem-Graben-Schlepp-Ersuchen formuliere, sagt der Junge gelassen, er könne mir ohnehin nicht helfen, bei seinem Auto sei die Batterie leer und er könne nicht starten. Mir fällt zuerst nur „shit happens“ ein, dann jedoch, dass mein Gespann ja mit potenter Batterie ausgerüstet ist und ich biete Starthilfe an, ganz begeistert von mir. Doch der Junge schaut mich nur entgeistert an, es dauert noch eine Weile, bis ich die Blödheit meines Anerbietens erkenne, sitzt die Batterie doch im Gespann im Straßengraben, das Auto zwanzig Meter ....
Überdies erkenne ich, dass ich einen wichtigen Ausrüstungsgegenstand vergessen habe, eine Schaufel. Ich beginne mit bloßen Händen das Motorrad freizuschaufeln, da reicht mir der Junge, wieder grinsend, ein prächtiges Exemplar von Schaufel in den Graben hinunter und ich baue kunstvoll eine Auffahrtsrampe für das Motorrad, während der Junge die Batterie seines Autos traktiert, der Starter nur grad ein bisserl jammert. Mein Bordthermometer zeigt minus 15°, mir ist dennoch gut warm, als ich die Dnepr starte und der Junge und ich das Gespann irgendwie aus dem Graben würgen. Ich drück dem Jungen dankend seine Schaufel in die Hand, da hören wir, wie die junge Frau das Auto startet, wie man halt ein Auto startet, und nun kann endlich ich auch einmal grinsen.
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Endlich geht es also weiter, beständig bergan, wenn auch sanft, es wird wirklich kalt, am unteren Rand des Visiers bilden sich Eiskristalle, nicht weiter störend, solange es in diesen schmalen Bereich bleibt. Die Heizgriffe glühen, das beruhigt, denn es ist wirklich stockdunkel, kaum Verkehr und ich erkenne nur schwach, dass ich auf einem Hochplateau fahre, kein Bäume, kein Haus, keine Gesellschaft weit und breit, als mein Gespann anfängt zu spucken, es zieht nicht gut, ich schalte auf die Dritte, brauche ordentlich Drehzahl, damit etwas weitergeht, und im Überlegen was die Ursache sein könnte, muss ich leider schon wieder erkennen, dass ich einen wichtigen Ausrüstungsgegenstand vergessen habe, eine Taschenlampe. Da bleibt mir keine andere Wahl, weiterfahren so lange es geht, im Finstern lässt sich nicht gut schrauben.
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Es geht schon wieder leicht bergab, als ich feststelle, dass ich nur auf einem Zylinder fahre, eine Abzweigung zu einer Ortschaft ist durch drei Straßenlaternen gut beleuchtet und bei minus 20° laut Bordthermometer kontrolliere ich den Funken von der Zündspule zu den Kerzen, die rechte Kerze ist hinüber, der Zündfunken will von der Zündspule nicht auf das Zündkabel und ich biege an der Spule herum, bis der Funke ist, wo er sein soll, wechsle die defekte Kerze. Es geht wieder einigermaßen, doch wirklich befriedigend ist die Leistung nicht. Wahrscheinlich gefriert Wasser in den Vergasern, beruhige ich mich, und als ich am Etappenziel Oppdal ankomme, beschließe ich angesichts der beleuchteten Schipisten rundherum, noch bis Trondheim zu fahren, denn an der Küste erwarte ich mildere Temperaturen. 20 Kilometer vor Trondheim in Kval beschließe ich den Tag um 22.00 Uhr, ein Privatzimmer ist sofort gefunden, 370 Kilometer bin ich heute gefahren.
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Das passt für den Anfang
Anderntags bei minus 5 Gräder ist die Dnepr sofort einsatzbereit. Rund um Trondheim gibt es richtige Autobahn, wenig, aber doch. Mautpflichtig. Natürlich. Aber ich staune nicht schlecht, die Maut für Motorräder beträgt null Kronen. Das ist vorbildlich. Das ist großartig. Auch die Maut für die Tunnelfahrt gleich nördlich Trondheim: Null Kronen für Motorräder.
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Irgendwie tut die Dnepr nicht richtig, immer wieder Aussetzer, beim Tankstop nach Steinkjer, an der Gabelung Hauptverkehrsweg E6 und der Küstenstraße 17 schau ich mir wieder die Zündung an und sehe, dass der Funke ist, wo er sein soll, doch die rechte Kerze ist schwer beleidigt und wird ausgetauscht, wie gestern, heute wechseln wir auch den Kerzenstecker. Die Dame an der Kasse in der Tankstelle frage ich um die Straßenverhältnisse und die klimatischen Gegebenheiten auf den nächsten 200 Kilometern nördlich, denn nun muss ich entscheiden ob ich an der milden Küste fahre, oder die wilden Berge probiere. Die Kassendame erklärt mir, dass sie überhaupt keine Ahnung hat über die Verhältnisse, sie war zwar schon in Spanien und Griechenland, und Norwegen sei sowieso das beste Land zum Leben, noch nie war sie aber weiter nördlich als 20 Kilometer von ihrer Tankstelle und sie werde nie und nimmer nördlich fahren, aber ich solle mir keine Sorgen machen, sagt sie, so schlimm sei es nicht, zwei Wochen vor mir wären zwei Schweizer mit Beiwagenmaschinen bei ihr gewesen, die hätte das gleiche gefragt wie ich, doch da hätte es minus 27 Grad gehabt und die Schweizer wären auch gefahren.
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Aha, also ich nehme nicht die Küstenstraße, ich nehme die Berge.
Nicht nur die Fahrbahn ist stark vereist.
Gleich bereut. Die Dnepr geht nicht gut. Die Straße ist komplett vereist. Manchmal donnern LKW Züge vorbei. Da ist höchste Konzentration angesagt. Es gibt da einen Sog zwischen Zugfahrzeug und Hänger. Unangenehm. Auf glatter Piste versetzt so ein Sog das Gespann ganz ordentlich. Die Dnepr plagt sich. Linke Kerze schneeweiß, rechte Kerze kohlrabenschwarz, ich mach den linken Vergaser fetter, den rechten Vergaser magerer, noch schlechter, ich spüre, dass die Dnepr bald in Ruhestand geht und daher beschwere ich mich telefonisch bei meinem Mechaniker. Der ist wirklich ein spitzen Mechaniker, aufgrund meiner exakten Beschreibung der Symptome „die Dnepr geht net gscheit“, kommt sofort der Befund, „ich habe ein Vergaserproblem“.
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In einer Fiatwerkstätte zerlege ich nun beide Vergaser, reinige mit Druckluft alle Düsen, Düsenstöcke, so sauber waren diese Vergaser noch nie, stell die Vergaser ein, immer wieder Probefahrten, ich spiel mich eine Stunde, die Fiatwerkstätte will schon Feierabend machen, die Dnepr wird immer schlechter, ich ruf meinen Mechaniker zu Hause, ich höre ihn Achselzucken am Telefon, so ganz beiläufig fragt er mich, ob der Geber der elektronischen Zündung fest sitzt, denn da hätte er zu Hause schon ein Problem vermutet und siehe da, das Ding hat über einen Zentimeter Spiel und da ist es eher ein Wunder, dass bei dieser Art elektronischer Fliehkraft Zufall Zündung überhaupt was geht, die Zündung hat sich je nach Lust und Laune zwischen Gut und Böse verstellt, da hätte auch mal ein Kolbenbrenner passieren können. Für mich ist immer wieder erstaunlich, was ich mit zwei linken Händen alles reparieren kann, wenn der Mechaniker nicht da ist, aber repariert werden muss. Und einfach irre, wie die Dnepr jetzt wieder geht, noch einmal bleibe ich stehen und regle die Vergaser, ein super Kerzenbild, eine Freude, wie das tut. Leider ist es aber nun stockdunkel, ich trau mich heut nicht mehr recht in die Berge und um 17.00 Uhr beschließe ich den Tag in Trones, erhalte im Hotel den Great-Lunatic-Austrian-Motorcycledriver-Discount, feinen Lachs zum Abendbrot, Bier um umgerechnet sieben Euro, dafür den Tee gratis. Heute bin ich nur 250 Kilometer gefahren. Ich sitze über der Karte und überschlage die vor mir liegende Distanz nach Hammerfest und es überkommen mich die ersten Zweifel, ob ich das schaffe, wenn die Dnepr so spinnt. Aber ich beschließe, dass ab morgen alles besser wird.
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Samstag, 02. 02. 2002, zirka 2.00 Uhr Nachmittag
Zigtausende knien jetzt paarweise vor den Altären der Kirchen und Konfessionen dieser Welt. Viele halten diesen Augenblick für den glücklichsten Ihres Lebens, sind sie sich doch mangels eigener Erfahrung der Folgen ihres Tuns hier noch nicht gänzlich bewußt. Im Hintergrund stimmt die Gemeinde frohe Lieder an, manche Mutter zerdrückt noch eine Träne im Tuche ob des in den Ehestand verlorenen Sohnes.
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Ich und meine Dnepr knien zur Zeit auf Norwegens E6 im Schnee. Ein scharfer Wind lässt die umstehenden Bäume sich gleichgültig von uns abwenden und mir Tränen dem Auge entwenden, fassungslos erkenne ich als Grund für unseren Kniefall den abgerosteten Batteriekasten, die Batterie der Dnepr hat sich einen neuen Platz gesucht, am Getriebe, genau dort wo das Kupplungsseil seinen Dienst tun sollte, weshalb der gerade vorhin versuchte Schaltvorgang vom vierten in den dritten Gang nicht zur Ausführung kommen konnte. Mit Gurten werden Batterie und Batteriekasten fixiert, bis zum nächsten Schweißgerät muss das halten. Langsam erkenne ich wie uncool es ist, mit einem Dirtbike auf anspruchsvolle Reise zu gehen, die eh bloß äußerlich sichtbaren, als belanglos abgetanen Zeichen des maroden Zustandes meiner geplagten Winterdnepr werden immer empfindlicher spürbar.
Dabei hat heute alles ideal begonnen. So richtig nach unserem Geschmack. Das Frühstücksbuffet ist gut und ausreichend, die Panoramascheibe des Frühstücksraums offenbart beständigen Schneefall draußen mit ein bisserl Wind. So wird heute das erste Mal die Racer Funktionsunterwäsche zum Einsatz kommen, eine Schicht Textil am Körper mehr als gestern sollte nicht schaden. Das Fieberthermometer am Windschild zeigt minus acht Grad, die Dnepr nimmt willig ihr Tagewerk auf, freilich ist das Kupplungsseil und das vordere Bremsseil eingefroren, das Kupplungsseil wird durch Gymnastik (Dehnen, Biegen, Strecken) zum Leben erweckt, das Bremsseil lassen wir gefroren, denn gebremst wird eh net. Super, einfach genial, die Fahrbahn, 15 Zentimeter Neuschnee, jungfräulich, keine einzige Spur noch nach Norden, auf der Gegenfahrbahn nach Süden ist schon gespurt. Da staubt es und jetzt weiß ich wieder, warum ich da bin, es ist einfach ein unbeschreiblich gutes Gefühl Vollgas auf einer frisch verschneiten, breiten, absolut leeren Straße zu fahren, Kurven nur im Drift, weil es so schön staubt.
Nach 10 Kilometer ist die Gaudi aus. Kein Benzin. Ich Vollidiot bin heute früh von der vollen Tankstelle mit leerem Tank losgefahren. Benzinhahn bereits auf Reservestellung von gestern. Mein 10 Liter Reservekanister kommt nun zum Einsatz, ich fahre zum Tanken wieder zurück, denn die Straßenkarte hat ja 150 Kilometer übers Fjell ohne größere Orte gezeigt.
Also alles noch einmal von vorne und es werden aus der Sicht des Motorradfahrers bis Mosjöen die schönsten 150 Kilometer der ganzen Reise. Gezählte 14 Fahrzeuge kommen mir entgegen, 9 LKW und 5 PKW, in meiner Fahrtrichtung kein Fahrzeug getroffen. Unberührte Schneefahrbahn. Die Straße windet sich sanft durch den schweigenden Wald. Wirklich entbehrlich sind nur die gelegentlichen Querungen der parallel verlaufenden Bahnstrecke, denn die Unterführungen sind extrem eng und die Zufahrten dazu kommen völlig überraschend und in scharfen Kurvenradien. In diesen Momenten rapiden Adrenalinschubes merke ich, dass ich heute entschieden zu warm angezogen bin.
In Mosjöen finde ich einen Yamaha Laden und will mir dort den Batteriekasten schweißen lassen. Im Yamaha Laden stapeln sich Skidoos, Pistenraupen, Schneefräsen jede Menge und Ausführung, entdecke dann doch ein Motorrad, im letzten Eck baumelt von der Decke eine Fazer, leicht verstaubt, ich glaube Modell 1998, so eine Art Zimmerschmuck. Geschweißt wird bei Yamaha auch nicht am Samstag nachmittag, aber in der Volvo Truck Service Station wird die Dnepr gegen eine Dose RedBull und eine Packerl Manner Wafferl mit der saubersten Schweißnaht versehen, die die Dnepr jemals hatte.
Mosjöen liegt am Ende eines engen Fjords, der Schneefall droht in Regen umzuschlagen, drum verliere ich keine Zeit und fahre schon wieder in die Berge nach Norden, in Mo I Rana entnehme ich der Karte, dass der Polarkreis bald zur Überquerung ansteht, ich beschließe, an diesem geographisch bedeutsam klingenden Ort zu übernachten. Und so nehme ich guter Laune schon bei Dunkelheit den nächsten Pass in Angriff, es hört ja zu schneien auf, es wird kälter, ich merk das, denn das Kupplungsseil verweigert den Dienst, eingefroren während der Fahrt, wir werden in Zukunft mehr schalten um diesen Teil am Frieren zu hindern. Bald beginnt unangenehmer Wind, dafür endet jeder Verkehr, stockdunkel ist es eh schon länger. Als ich eine Passhöhe überschreite, empfängt mich eisige Luft links vom Svartisen kommend, Norwegens zweitgrößter Gletscher lässt grüßen. Es herrscht vollkommene Dunkelheit, ich sehe nichts, gar nichts, rechts und links, der eisigeWind hat Sturmstärke, greift mich seitlich an, ich umklammere fest die Griffe am Lenker, die sind brennheiß, das beruhigt, die Straße vor mir ist schwarz und spiegelglatt, der Sturm treibt weißen Schneestrich rasend schnell von links nach rechts, ich habe das Gefühl zu gleiten über diesen bewegten Boden, ich gebe dem Lenker ständig Druck zur Fahrbahnmitte, muss mächtig gegensteuern, da kommt leichte Panik auf, wie lange ist es vorbei, dass ich ein Licht gesehen habe, von einem Haus oder einem Fahrzeug? Was ist wenn mir jetzt das Eisen eingeht? Was ist wenn mich dieser Orkan von der Straße fegt? Warum ist da nichts, warum fährt da niemand? Die Antwort ist: Es ist ein Blizzard, da bleibt man zu Hause.
Nur gut, dass sich der Sturm nicht als Gegenwind präsentiert. Ich fahre was geht, bete, dass die Dnepr jetzt keine Mätzchen macht, meine ganze Konzentration richtet sich auf die Reflektoren der Schneestangen, das waagrechte Flirren des Schnee macht mich total irre, eigentlich fahre ich ja blind, aber ich fahre Vollgas, volles Risiko, ich will nur raus aus dieser Hölle, da fällt mir ein, ich müsste ja den Polarkreis schon längst überquert haben oder bin ich da gerade? Noch nie war Motorradfahren anstrengender, Konzentrationslücken treten auf, im waagrechten Schneestrich taucht klar das Bild auf, wie deutsche Wohnmobiltouristen auf ihrer Reise ans Nordkap im Mai 2002 kurz nach der Überquerung des Polarkreises an der E6 halten um ein soeben ausgeapertes Motorrad samt Beiwagen und Fahrer zu fotografieren, letzterer in tadelloser Dainese Kombi wirklich gut erhalten, durch das Visier des Helmes kann man gut erkennen die weit aufgerissenen Augen der Leiche, der muss sich ja ganz schön geschreckt haben.
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Irgendwann trägt der Wind keinen Schnee mehr mit, dann dreht er und kommt von hinten, Bäume, Häuser werden schwach sichtbar, großes Aufatmen, durch den Rückenwind geht die Dnepr 90 Km/h ohne Mühe, seltsam ist, dass hier keinerlei Schnee liegt, ich weiß nicht warum, aber ich bleibe nirgends stehen, fliege vorbei an den Hinweisschildern zu Hotels und Tankstellen, entlang des Saltfjords kommt der Sturm wieder von der Seite und peitscht Regen heran, ich fahre weiter, das Grauen sitzt anscheinend tief in mir, ich will nur weit weg vom Polarkreis, erst in Fauske tropfe ich vom Motorrad, direkt vorm einzig geöffneten Hotel in der Stadt. Es ist 19.30 Uhr
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In der heißen Badewanne rekapituliere ich an Hand der Straßenkarte den Tag, ich schaffte heute 420 Kilometer, eine lächerliche Distanz, im Vergleich zum vor mir liegenden Weg nach Hammerfest und nach Abwägen aller Für und Wider entscheide ich, dass ich anderntags auf der Küstenstraße wieder südwärts fahren werde. Soll landschaftlich aufregend sein. So der Reiseführer vom Velbinger. Sehr gut.
Mitten in der Nacht aufgewacht, tiefes beständiges Wummern von ACDC- bis Led Zeppelin Bässen nervt zusehend. Und nimmt kein Ende. Ist da eine Disco im Haus? Mein Hotelzimmer ist doch ohnehin im fünften Stock.
Diese Reise bietet keine Entspannung. Kein richtiges Urlaubsgefühl. Wenn mein Nachbar zu Hause im Altbau nächtens beim Kiffen einschläft und die ewig gleiche CD das ganze Haus terrorisiert, ist es stets meine Aufgabe, die Sicherungen für Nachbars Wohnung zu entfernen, damit a Ruh is.
Also steh ich schwer auf. Ich werde die Lärmquelle suchen.
Das Fenster meines Hotelzimmers gibt den Blick frei auf eine bewegte See. Unerfreulich. Heftiger Sturm treibt Regen waagrecht. Direkt unter meinem Fenster ein großer Parkplatz. Vier schwankende Straßenlaternen illuminieren gut ein Dutzend parkender Autos der Typen Ford Capri und Opel Manta als Quell meiner Schlafstörung. Zwei Fahrzeuge fahren schlingernd weg, drei kommen wieder. Ein Ford Granada gibt den Ton an, dessen Stereoanlage hat die meisten Dezibel. Es gibt merkbar Kommunikation zwischen den Fahrzeugen, dürfte mittels Handy stattfinden. Saturday Night Fever. Leider kein Film. Voll real in Fauske Samstag Nacht 2002. Nicht zu ändern.
Spät aufgewacht am Sonntag. Das Zimmerfenster offenbart die selben Verhältnisse wie nächtens, mit Ausnahme der Siebzigerjahr Autos. Sturm und Regen. Das Fernsehen bestätigt anhaltendes Sauwetter. Ich räche mich zuerst einmal am Hotel für die gemeine Nacht und wüte am Frühstücksbuffet zwei Stunden lang und außerdem wird eingepackt Schinken, Erdbeeren, Eier, Kabeljau, Lachs, Mango, Käse, Jogurt, Brot und Kuchen in allen Formen, Proviant für eine Woche. Lange stehe ich dann am Fenster und sinniere angesichts des grauenhaften Wetters über Sinn und Unsinn mancher Aktionen, die man so im Leben liefert. Sonntag 11.00 Uhr. Hilft eh nix, ich muss fahren, keineswegs werde ich hier versumpfen, mühsam werden einige Schichten Gewand angelegt und nach nicht einmal 1 Kilometer Fahrt Richtung Südwesten, Richtung Küstenstraße und gegen den Wind, erkenne ich meinen Irrtum und eine 180 Grad Drift bringt mich wieder auf Linie, wieder auf die E6, ich will ja nach Hammerfest, im Norden kann es doch nur besser sein, kälter, Schnee statt Regen, weg von der Küste, rein in die Berge und schon am ersten Berg nach Fauske ist der Wind plötzlich mein Freund, kommt von achtern, meine bekanntlich extra breiten Schultern bilden ein hervorragendes Hauptsegel, das beste aller Dnepr Windschilder eine großartige Fock, wir fliegen den Berg hinan, vorbei an den zwei Autos, die es heute Vormittag nach Norden probieren, der frontgetriebene Opel schlingert über die ganze Breite der stark ansteigenden Straße, der Fahrer, seltsam angestrengt ganz knapp hinter die Windschutzscheibe sich verkrampft, der Anblick echt erheiternd, als sich aber die Besatzung des zweiten Autos ebenso seltsam benimmt, und der allradgetriebene SUV-Honda (SUV = Sports Utility Vehicle!) so ganz leichte Beute meiner Dnepr bergauf wird, erkenne dann doch auch ich die Güte der Fahrbahn, pures Glatteis, schön glasiert durch Dauerregen, in den Spurrinnen Sturzbäche.
Zuerst wird man da ein bisserl vorsichtiger, langsam testet man die Grenzen der Spikereifen und bald bin ich wieder Vollgas unterwegs, weil das Gespann auch unter diesen wirklich außerordentlich schwierigen Straßenverhältnissen gut liegt, ja ein Gefühl der Sicherheit vermittelt in dieser Situation. Heute bin ich der schnellste Verkehrsteilnehmer, sogar die LKW geben klein bei und werden von mir heute schonungslos gerichtet. Hierzulande sind Sattelzugmaschinen oder Motorwagen von Hängerzügen allesamt Dreiachser, zwei angetriebene Achsen, alle Räder bespikt, auch die Räder der Hänger, heute fahren die LKW zusätzlich mit Ketten.
Doch auch mir macht der schlechte Zustand der Eisfahrbahn zusehend zu schaffen. Die E6 wird immer mehr zur Schlaglochpiste, die Löcher im Eis unsichtbar wegen der Glasur durch das Wasser. Ich bleibe stehen um ein Foto zu machen, da sehe ich, dass aus dem Ölfilter heftig Öl tropft. In der nächsten Ortschaft muss das behoben werden. Eine Shellstation wird angepeilt, die gelb/roten Neonbalken wirken einladend. Eine saubere Werkstatt, ordentlich aufgeräumt, mit Grube und geheizt, fällt sofort angenehm auf, leider wird aber der Zutritt verwehrt, der Mann an der Tankstellenkassa meint, er hätte keinen Schlüssel für die Werkstatt, ich glaub das nicht, aber was hilft es, ich frage ihn ob ich unter dem Dach zwischen den Zapfsäulen mein Gespann reparieren könnte, er verneint auch dieses, ich könnte ja den Betrieb stören, und schwer geschockt über so viel Unverständnis muss ich nun bei strömenden Regen mit dem Küchenmesser das zuhause kunstvoll angebrachte Dämmmaterial für den Ölfilter lösen, nicht vermeiden läßt sich, dass Öl auf den Boden tropft, da das ganze Tankstellenareal ein See ist, färbt das Öl alles in blau und grün, im Liegen unter dem Gespann erkenne ich, wie der Wind den rechten Handschuh vom Zylinder in den See verweht und weit weg schon schaukelt mein Popschwärmer auf den Wellen einer Pfütze, absolute Niederlagen sind das, aber der Ölfilter wird wieder dicht, und auch andere Schrauben und Muttern werden nun nachgezogen, ein dreiviertel Liter Motoröl wird nachgefüllt, das Kabel zwischen Batterie und Lichtmaschine hängt lose, hat sich von einer Lusterklemme gelöst. Eine Lusterklemme? Ich frage mich, was zum Teufel an meinem Gespann eine Lusterklemme zu suchen hat, mein Mechaniker, der einem Motorrad die §57a KFG Plakette verweigert, wenn er an einem Motorrad eine Lusterklemme findet, dieser Mechaniker schickt mich mit einer Lusterklemmenelektrik auf Reise. Unglaublich.
Ich klatsche den völlig durchnässten Popschwärmer auf den Sattel, nehme die Ersatzhandschuhe, verfluche den Tankwart und mache mich wieder auf die Reise. Die E6 wird ungepflegt je weiter nördlich und die Tunnels sind echt spannend. Die Tunnelwände und die Tunneldecke sind nicht verkleidet. Roher Fels. Die Felswand weicht manchmal zurück, bildet dunkle Nischen, dann wachsen Ecken und Kanten wieder gefährlich nahe an die Fahrbahn. Beleuchtet sind die Tunnel hier heroben durch gelbe Deckenlampen mit der Leuchtkraft von Grabkerzerln, alle 50 Meter ein Lamperl, durchschnittlich jedes dritte ausgebrannt. Immer wieder quellen Eiskaskaden aus dem nackten Fels, mitten im Tunnel, schaut echt toll aus, fährt man an so einem Eisfall vorbei, hört man förmlich den Stein knacken und vereinzelt liegen da auch Steinbrocken ungeniert auf der Fahrbahn, massiv am Fahrbahnrand in allen Größen. Wieder danke ich meiner Ausrüstung, Frau Grötzmeier hat gesagt, wir fahren niemals ohne Rückenprotektor. Sehr gscheit!
Um halb vier Uhr ist es bereits stockdunkel. Es regnet noch immer. Die Heizgriffe werden kalt, die Ladekontrolle leuchtet auf. Die Lusterklemme macht Probleme, das Kabel zur Lichtmaschine ist wieder lose, im Finstern muss ich da nun herumdoktern. Ich fluche und nehme mir fest vor, dass ich meinem Mechaniker dieses weiße Kabel samt der Lusterklemme in die Spagetti mischen werde, sollte ich jemals wieder nach Hause kommen. Mitten in der Einschicht liegen zwei komplette LKW-Züge im Straßengraben. Bei einem brennen noch die Lichter, die Fahrer stehen stumm und deuten, ich sollte weiterfahren. Ich werde immer vorsichtiger und langsamer, es wird kälter, trotzdem regnet es immer noch. Die Sicht ist katastrophal. Endlich Narvik. Ich beschließe den Tag zu beschließen. 18.00 Uhr. Doch bitte kein Hotel. Kurz nach Narvik peile ich ein Privatzimmer an. Es liegt etwas oberhalb der Hauptstraße. Zu Fuß muss ich mein heutiges Quartier erkämpfen, denn mein Gespann steckt im patzigen Schnee der zu steilen Zufahrtsstraße. Das Quartier hat Fußbodenheizung, ich breite also all mein Gewand am Boden zum Trocknen aus. Dann hole ich mein Gespann. Eine Stunde werke ich und ringe das Gespann doch bis vor die Haustüre. Heute nur 250 Kilometer geschafft. Dennoch: Grießnockerlsuppe, Tee, leckere Teile vom Fausk´schen Frühstücksbuffett lassen allen Ärger über den heutigen Tag vergessen. Das TV meldet für morgen ideale Wetterverhältnisse. Die Karte offenbart ca. 700 Kilometer bis Hammerfest. Also bitte.
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Und wirklich: Hervorragende Reisebedingungen zeichnen sich anderntags ab. Wir beginnen unser Tagewerk um 8.30 Uhr bei ruhigen Wetter. Kein Niederschlag, Temperatur knapp unter null Grad. Genau zwölf Stunden später um 20.30 Uhr feiern die Dnepr und ich Ankunft in Hammerfest. Es ist eine spektakuläre Etappe. Fjorde, Berge, Wasser, Eis. Alles ist großartig arrangiert. Versank das Land gestern in grau - das einzige Farbempfinden vermittelten die Neonbalken der Tankstellen - zeigt sich heute Farbe. Pastelltöne überwiegen. Rosarote Berge, hellblau bis türkis der Himmel, das Wasser im Fjord blaumetallic und die Schneefelder zeigen sich in weiß, nie habe ich so viele verschiedene Weißtöne gesehen wie heute. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl überkommt mich und überträgt sich auf die Dnepr. Die Dnepr bricht unsere 70 Km/h-Vereinbarung und geht 80, ich nehme Gas zurück, hilft aber nichts, als die Tachonadel gegen 100 pendelt, kommt eine rettende Steigung und ich muss auf die Dritte schalten. Der Straßenbelag ist heute wieder ausgezeichnet, präsentiert sich nicht mehr als schwammige glasige Schlaglochpiste, sondern ist festes blankes Eis. Das erlaubt stressfreie Höchstgeschwindigkeit. Die gestrigen Straßenbedingungen forderten anscheinend große Opfer, einige Auflieger kommen entgegen mit zerbeulten LKWs als Ladung.
Das Spiel der Farben ist berauschend, jede Stunde des Tages bedeutet anderen Lichteinfall, neue Farben, andere Stimmung. Lange träume ich rosarot und mint einem nicht enden wollenden Fjord entlang, urplötzlich einsetzender Hagel aus Schnee-, Eis-, Stein-, Holz- und Spikepartikeln weckt mich unsanft. Ein 40-Tonnen-Holzfuhrwerk hat mich überholt, wird schnell kleiner, als mich der Sog freilässt. Das ist natürlich eine Niederlage. Jetzt ist Konzentration angesagt. Ich nehme die Verfolgung auf. Die Straße biegt rechts ab, der Fjord wird immer enger, ich komme näher. In Kurvendrifts bin ich eindeutig im Vorteil, habe ja keinen störenden Hänger zu ziehen, wie die Holzfuhre. Auf geraden Teilstrecken könnte ich überholen, doch kaum schere ich aus dem Windschatten aus, verliere ich wieder den Kontakt. Wir geben uns eine halbe Stunde intensiven Fight, am Ende des Fjords kann ich endlich überholen, eigentlich feig und unfair von mir, weil hier im Ortsgebiet Geschwindigkeitsbeschränkung besteht, da bleibt der LKW stehen. Gibt einfach auf. So ein Feigling. Ich rolle langsam an dem LKW-Zug vorbei, enttäuscht blicke ich dem Fahrer in das Gesicht, der grinst und zeigt mit dem Arm in die Ferne und nun begreife ich den Grund seiner Fahrpause. Die Sonne ist da. Unsichtbar zwar, irgendwo im Süden, aber sie taucht die Spitzen der höchsten Berge entlang des Fjords in gleißendes Licht. Es scheint, als hingen die Bergspitzen als lose kleine blendende Dreiecke am Himmel, ohne Bodenkontakt, kurze Zeit bilden rund um die strahlenden Bergspitzen der Himmel, die Berghänge und das Meer eine einzige konturlose silberne Fläche. Da staunt der Motorradfahrer gleich dem LKW-Fahrer.
200 Kilometer nördlich in Alta an der Tankstelle beim wiederholten Reparieren der Dnepr-Elektrik (Lusterklemme) erzählt mir eine Krankenschwester ganz stolz, sie hätte in einem Linzer Krankenhaus ein Praktikum absolviert und Sehnsucht nach Ihrem Linzer Lover, sie hätte gerade mit ihm telefoniert, es hätte heute in Linz 19 Grad plus gehabt, doch morgen wird auch in Alta alles besser werden, denn morgen wird der erste Tag seit November sein, an dem in Alta die Sonne wieder zu sehen sein wird. Ich freu mich ja für das Mädel, dennoch lehne ich die Einladung zu bleiben dankend ab, viel schöner ist doch, den desolaten Dneprzustand der Kabelverbindungen zwischen Batterie und Lichtmaschine zu bewundern, man sollte nicht glauben wie oft ein 20 Zentimeter langes Kabel ärgern kann und die Schellen des Auspuffinterferenzrohres baumeln unmotiviert in der Nähe ihrer eigentlichen Bestimmung.
Sollen sie baumeln, wohin sie wollen, ich fahre heute noch nach Hammerfest, die letzten 170 Kilometer sollten doch zu schaffen sein. Mit neuem extrem großen Diodenabstand an den neuen Kerzen habe ich langen Funken, hurtig geht's bergan, gleich hinter Alta umfängt mich wieder völlige Dunkelheit und ab der Passhöhe wieder scharfer Wind. Ich verfalle in einen Flow-Zustand. Ich fahre immer geradeaus. Die Straße zeigt keine Richtungsänderung. Das Fahrzeug der letzten Schneeräumung hat kleine Rillen in die Eisfahrbahn gefräst. Die Reifen beginnen gleichmäßig hoch zu singen. Ich versuche die Tonlage zu unterlegen mit einer zweiten Stimme. Ich summe mittlere Lagen in den Helm.
Das eintönige Dröhnen des Boxermotors verschwindet langsam ganz. Ich drehe langsam durch.
Seit einer halben Stunde habe ich keinerlei Kontakt mit einem anderen Fahrzeug. Seit einer halben Stunde ist es wirklich stockdunkel. Ich weiß nicht, ob ich entlang eines Sees, des Meeres, eines Berges fahre. Keine Siedlung, kein Wald, kein Verkehrszeichen. Ich fahre ständig schnurgerade in einen Tunnel hinein, ein Tunnel aus Schneestangen ohne Ende. Außerdem habe ich das Gefühl, dass ich ständig bergab fahre. Und zwar immer steiler bergab. Die Straße neigt sich im Lichtkegel der Dnepr vor mir immer steiler bergab. Ist das der Weg in die Hölle? Ist da die Erdkrümmung so stark?
Da endlich ein Schild an der Straße: Herzlich willkommen in KVALSUND. So heißt die Kommune hier. Wahnsinn. Das war schon wieder alles. Ich spüre, wie ich verrückt werde. Die Panik weicht später einer Art Hoffnungslosigkeit. Ich bilde mir ein, ich sähe weit vor mir einen schwachen Schimmer, nein, es ist keine Einbildung, der Schimmer wird stärker, bewegt sich, beleuchtet ausschnittweise die Gegend weit vor mir, ich bin ganz aufgeregt, jetzt blitzt in meinem Rückspiegel ein Licht auf, wird rasch größer, ich nütze das stärker werdende Licht zur Orientierung, ich erkenne, es geht ja wirklich leicht bergab, da rast ein Allrad-Audi mit geschätzt 180 Sachen an mir vorbei. Ich brülle ihm nach: "Bitte, bitte, warte mir, gib mir Licht, fahr mir nicht davon!"
Aber nur kurz kann ich mit den Augen folgen und bald ist auch dieses Lebenszeichen verschluckt von der Finsternis. In dieser sprichwörtlich ausweglosen Situation rekapituliere ich vergangene Highlights im Leben, zukünftige Pläne verblassen und beschränken sich auf die Vorstellung einer feierlichen Opferung meiner Dnepr, sollte diese schwarze Einöde mich je wieder frei lassen. Doch, doch, das Gefälle hat einen Boden und da stehen Häuser und die Abzweigung nach Hammerfest ist erreicht, da kehrt Leben ein und auch die Dnepr zeigt wieder elektrische Probleme. Die letzten lächerlichen 50 Kilometern verlaufen im Nu, stolz drehe ich in Hammerfest eine Ehrenrunde und parke die Polardnepr vorm teuersten Hotel der Stadt. Dusche, ein Bier und gut schlafen.
Und was jetzt? Dnepr opfern und heimfliegen? Wirklich nicht. Die kürzeste Straßenverbindung zurück wäre über Finnland und Schweden. Taugt mir nicht. Dort könnte es ja echt kalt sein. Die gleiche Strecke zurückfahren? Niemals! Ich schlage den Velbinger Reiseführer auf und lese: Hurtigruten.
Hurtigruten
Der Schnelldampfer entlang der rund 2.300 km langen Strecke Bergen/Kirkenes wird oft als die schönste Küstenfahrt der Welt bezeichnet. Für Touristen eine echte Kreuzfahrt, für die Norweger ihre "Reichsstraße Nr. 1". Eine unerlässliche Verbindung nach Nordnorwegen, die zuverlässig das ganze Jahr bedient wird.
Ganz Feuer und Flamme marschiere ich anderntags zum Hurtigruten-Ticketcounter (www.hurtigruten.com) und staune nicht schlecht, als ich Auskunft erhalte:
Wintertarif von Hammerfest nach Trondheim: 1.311,-- norwegische Kronen, das sind 170,-- Euro, das Motorrad free on bord. Das sind nicht einmal die Hälfte der Sommertarife. Fahrzeit 2 Tage und drei Nächte. Einfach genial.
Mit dem Motorrad bräuchte ich von Trondheim nach Hammerfest 4 Tage, also doppelt so lange, und allein das Benzin für diese Strecke kostete mehr als der Fährpreis für die Hurtigruten. Ich decke mich noch mit Reiseproviant in Hammerfest für die Kreuzfahrt ein, Brot und Wasser, Lachs und Zitronen.
Die M/S Midnatsol ist schon ein etwas älteres Schiff, Baujahr 1982, gebaut für maximal 500 Personen. Es gibt auf diesem Schiff noch "Sleeperetten", ein Raum mit Liegen, gleich neben der Cafeteria, ich belege diese 10 Betten als meine Kabine, die ersparten Kosten für die Kabine werden in Bier investiert, die erste Nacht an Bord verbringe ich jedoch in der herrlichen Panoramalounge am Bug des Schiffes, erfahre diese Nacht, dass an Bug eines Schiffes die Schaukelbewegung am größten ist, in der Mitte (Cafeteria) am geringsten.
Es befinden sich am 500-Passagier-Dampfer gezählte 8 (in Worten: acht) gebuchte Kreuzfahrttouristen aus Deutschland, ab Hammerfest plus ein Schwaighofer. Bis zu 20 Norweger sind immer an Bord, die Teilstrecken mitreisen. Das Personal der M/S Midnatsol beträgt 34 Personen, das ist Mindestbesetzung für den Fahrbetrieb. Für die acht deutschen Touristen und ab Hammerfest auch für mich kündigt Sissel, die Reiseleiterin an Bord, die Sehenswürdigkeiten auf der Reise an. Ansonsten: Es gibt kein Animationsprogramm an Bord!
Ich liege schon im Bett, als Sissel mitteilt, es wäre zur Zeit ganz starkes Nordlicht zu sehen, ich springe in Hose, Jacke, Stiefel, stürze aufs Freideck achtern und sehe am sternenklaren Himmel, direkt über dem Schiff, eine riesige, wabbernde, schleimgrüne Spirale mit langen auslaufenden Schweif, ständig Schleimfäden gegen das Meer schickend, langsam gegen Norden ziehend und allmählich kleiner und zarter werdend, verschwindet das Phänomen im Norden. Ich bin ganz fertig, habe doch nie im Leben damit gerechnet, dass ich dieses Schauspiel erleben darf, bei einem 49 Kronen Bier zur Feier des Abends erlese ich aus Sissels am Infodesk ausgehängte Infotafeln Ursachen, Mythen und Sagen über das Nordlicht. Im Volksglauben sei das Nordlicht oft mit dem Tod verknüpft worden und am häufigsten mit toten unverheirateten Frauen. Noch einmal an diesem Abend schaltet man das Nordlicht ein für uns, ich bleibe lange an Deck und ruhig zieht das Schiff vorbei an eisbedeckten Felsinseln, schlafenden weißen Riesen gleich, glänzen fahl im Sternenlicht. Anderntags verbringe ich fast den ganzen Tag am Freideck mal vorne, mal achtern, steifer Wind peitscht den Regen ins Gesicht, wieder bin ich gut aufgehoben in meiner Dainese Goretex, dann wieder reißt der Wind die Wolken auf und bildet wahnwitzige Formationen am Himmel, spektakulär bahnt sich das Schiff seinen Weg durch Fjorde. In der Abenddämmerung fahren wir durch den Raftsundet, einer faszinierenden Meerenge, Felsenwände links und rechts zum Greifen nahe, verlieren sich in den Wolken, man müßte schon ein Dichter sein, um das Gefühl, das man dabei hat, annähernd zu beschreiben.
Immer wieder wird an Städten und Orten angelegt. Hafengänge werden unternommen. Teilweise hat es 10 Grad Plus. Nichts Ungewöhnliches um diese Zeit an der Küste. Der Golfstrom wirkt Wunder. Weit nördlich des Polarkreises, in Harstadt, erzählt Sissel, werden Erdbeeren angebaut. Besonders süß werden sie durch das lange Licht im Sommer, der Mitternachtssonne, wegen der langen Winter werden sie spät reif und exportiert bis Italien zu einer Zeit, wenn dort schon längst alle heimischen Erdbeeren gegessen sind.
Als ich am 7. Februar auf der Midnatsol den Polarkreis wieder südlich fahrend überschreite, stellt mir der Kapitän der M/S Midnatsol eine Polarsirkel-Sertifikat aus, und lebhaft habe ich wieder die bangen Momente bei der nordwärtigen Passage vor Augen.
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Am Freitag den 8. Februar 2002 gehe ich und die Dnepr ganz begierig aufs Fahren wieder von Bord. Wenn ich in Südschweden wieder einen österreichischen LKW Richtung Heimat erwischen will, sollte ich schnellstens südwärts fahren. So drücke ich ordentlich aufs Gas, ich kündige die 70 Km/h Vereinbarung und fahre was geht, starker Gegenwind und der ständige, wenn auch nur leichte Anstieg der Straße aufs Fjell lassen ohnehin keine 70 Km/h zu, nach 350 Kilometer Vollgas muß ich in Elverum halten, weil schon wieder die Ladekontrolle aufleuchtet, der Motor zuletzt nicht gut durchzieht. Ich baue rechts die letzte neue Zündkerze ein und auch gleich einen Kerzenstecker, zum wiederholten Male erneuere ich die Steckverbindung des Ladestromkabels an der Lichtmaschine. Ein Telefonat mit meinem Chaffeur Fred, der hervorragende Arbeit als Disponent für mich leistet, ergibt, dass Lois, ein österreichischer LKW-Fahrer erst morgen Samstag acht Uhr früh die Fähre von Trelleborg nach Rostock nimmt, ich könnte mitfahren. Etwas mehr als 800 Kilometer liegen da jetzt noch vor mir, eine anstrengende Nachtfahrt blüht, das passt genau, dass jetzt schwerer Regen einsetzt und ab Schweden an der Küste entlang heftiger Seitenwind zu erwarten ist. Missmutig beginne ich zu kämpfen, die Dnepr läuft nun wieder ganz willig. Der heftige Schneeregen, der aufwirbelnde Salzdreck der vor mir fahrenden Autos trüben Windschild, Helmvisier, längst ist kein Schnee mehr zu sehen, das milde Wetter der vergangen Woche hat alle Pracht vernichtet, in Südnorwegen ist auch schon ganz schön hohes Verkehrsaufkommen, ich denke mir, das war es nicht, was ich wollte, und ich fahre kaum 40 Kilometer seit der letzten Reparatur, als die Dnepr schon wieder ruckelt, von der Tachokonsole leuchtet wieder nun schon vertraut rotes Licht, verdammt, denke ich, das darf doch nicht war sein, ich will nicht mehr, kann mich mal der Scheiß, hier kann ich sowieso nicht stehen bleiben, bei der nächsten Tankstelle werde ich meine Ersatzlichtmaschine einbauen, damit endlich eine Ruh ist, schalte energisch auf die Dritte, Vollgas, am Berg, als die Dnepr gequält aufschreit, so schnell kann ich gar nicht schauen, stehe ich neben dem Bike, hinter mir eine Autoschlange, Drehen am Gasgriff, ergibt heftiges Poltern im Motor, Kupplung geht, aber die Erste will nicht angenommen werden, ich schiebe bis zur nächsten Kreuzung, baue die Lichtmaschine aus, erwarte ein zerbröseltes LIMA-Ritzel, doch nichts dergleichen, das Ritzel ist makellos, die Ankerwelle dreht gut, etwas beunruhigt nun starte ich den Motor ohne Lichtmaschine, das Poltern des Motors ist gut, verdammt gut, vernehmbar, höhere Drehzahl tut richtig weh, ich schau mir das Stirnrad auf der Nockenwelle an und spür nur die drei lädierten halben Zähne, die dieses Zahnrad schon vor der Abreise hatte, ansonsten nichts zusätzlich Böses erkennbar. Ich bau halt nun die andere Lichtmaschine ein, nur damit das Loch dort halt zu ist, widerwillig nehme ich zur Kenntnis, daß die Polardnepr knapp 60 Kilometer nördlich von Oslo seine ewige Ruhe vor dem (über)fordernden Schwaighforschen Gasgriff findet.
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Ich stoppe ein Auto, das nimmt mich und die Dnepr im Schlepptau drei Kilometer mit, hier findet sich ein Yamaha Stützpunkt, schnittige Rennboote stehen in der Auslage, hinten auch eine Fazer und eine R6, ich übergebe dort meine Polardnepr samt Fahrzeugschlüssel, entnehme dem Beiwagen das Allernotwendigste was man so braucht für eine ungewisse Weiterreise ohne Dnepr und wie der Zufall es will, ist gegenüber der Yamaha-Werkstätte eine Bushaltestelle für den Shuttle Bus zum Flughafen von Oslo, gerade einmal 15 Kilometer entfernt, und wie der Zufall es will, kommt auch gerade der Bus, 30 Minuten später erfahre ich am SAS Desk, dass ein Flug nach München oder Wien 8.000 Kronen kostet, ein Weekendtarif auch unter Ziehen sämtlicher Register meiner Überzeugungskraft nicht zu erhalten ist, ich möge doch die Kosten des Fluges meiner Versicherung verrechnen. Diese Versicherung habe ich leider nicht, so fahre ich per Bus nach Oslo und buche den E6-expressen- Nacht-Bus nach Malmö. (www.nor-way.no). Kostet 340 Kronen. Inklusive Unterhaltung durch drei Schwestern, die eine Flasche Rotwein nach der anderen kippen. Und um 6.00 Uhr in der Früh kippen leere Flaschen, volle Schwestern und ein übermüdeter Schwaighofer in Malmö aus dem Bus. Noch 30 Kilometer Taxi nach Trelleborg und 10 Minuten vor Abfahrt steige ich beim Lois im Fünfachziger Scania zu, das Fahrzeug ist derart konstruiert, daß Lois weder schalten (Automatik) noch gasgeben (Tempomat) braucht und so ist viel Zeit für den Austausch von Trucker- und Motorradschwänken. Sonntag den 10. Februar um 2.00 Uhr liege ich bereits im eigenen Bett und kann nicht schlafen, heftig plagt mich mein Gewissen, nicht nur, weil ich meine Polardnepr nach langen Jahren treuer Winterdienste kaltblütig umgebracht habe, nein, habe ich sie ausgerechnet einer Yamaha Werkstätte zur gefälligen Verwertung überlassen. Ich kann nicht schlafen. Wieder und wieder höre ich das Kreischen meiner Dnepr beim letzten Berg. Wieder und wieder gehe ich alle mir bekannten Symptome möglicher Todesursachen von Dneprs durch und plötzlich sehe ich alles glasklar vor mir.
Die Erkenntnis überfällt mich fürchterlich. Mir wird siedend heiß. Ein Schweißausbruch. Hellwach. Ich springe aus dem Bett und gehe sofort wieder in die Knie, die Hände vors Gesicht, Schmerz, wirklich körperlicher Schmerz verursacht dieses mein persönliches Versagen. Es hilft alles nichts, es lässt sich nicht mehr verdrängen: Das rote Licht vorm Dnepr Tod war nicht die Ladekontrolle, es war die Ölkontrolle. Ja! Ich habe einen lupenreinen Verreiber produziert. Ja! Ich bin ohne Öl gefahren. Wann bitte habe ich das letzte Mal nach dem Ölstand geschaut? Ich weiß es nicht, ich kann mich nicht erinnern. Fünf Liter feinstes Öl im Beiwagen und wahrscheinlich bloß ein halber Liter Öl im Motor, das darf doch nicht wahr sein.
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Die darauffolgende Woche habe ich so viel Arbeit, dass ich keine Zeit habe zum Verzweifeln.
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Bericht und alle Fotos: © H.Schwaighofer, Congenia